Sonntag, 29. Mai 2016

Technischer K.O. für den Mythos Grundumsatz - Am Ende verlieren sie alle

Nie NiederKKalorisch
THE BIGGEST LOSER - Am Ende verlieren sie alle
6 Jahre später nachgeschaut sieht alles anders aus
Der technische KO für den Mythos Grundumsatz

Man kann sie mögen, oder nicht.
Sie scheint Einschaltquoten zu erzeugen, die Sendung The Biggest Loser.
Wechselnd ausgestrahlt über Prosieben, Kabel eins und Sat1 kommt das Format immerhin schon auf 8 Staffeln. Ursprünglich handelt es sich um ein TV-Konzept aus den USA.

Ich denke ja immer - wenn man verstehen will, wie die Gesellschaft gerade tickt und was sie beschäftigt, dann muss man sich die TV-Formate näher anschauen, die gerade erfolgreich sind. Da kann man mal drüber nachdenken, wo wir dann wohl gerade insgesamt stehen.

Aber offensichtlich ist Abnehmen eine Sache, die ziemlich viele Menschen zu interessieren scheint. Bei 67 % übergewichtigen Männern und 53% übergewichtigen Frauen, sowie jedem fünften Kind im Übergewicht haben wir ja leider auch einen ganz realen Bedarf.




Das Prinzip ist einfach und wurde nie wesentlich verändert. Grob erklärt:
Ein paar Kandidaten leben in einem Camp zusammen und versuchen mit veränderter Ernährung und einem straffen Sport-/Bewegungsprogramm ihre Kilos zu verlieren.
Immer derjenige scheidet aus, der den geringsten Gewichtsverlust in Prozent seines Gesamtgewichtes erreicht. 
Als Gewinner einer Staffel wird am Ende der gekürt, der in diesem Aussiebeverfahren bis zum Schluss übrig bleibt.

Soweit, so gut.

Ich habe mit die Sendung in den letzten 3 Jahren ein, zwei Mal ganz angeschaut und bin beim Durchschalten auch mal kurz Hängengeblieben. 

Ich sehe das Format mit ziemlich gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite finde ich es sehr gut, wenn sich jemand wie die Teilnehmer in der gezeigten Gewichtsklasse nicht einfach aufgibt. Grandios. Und ermutigend für ein paar der Zuseher, wie ich hoffe.

Woran ich mich immer gestört habe ist das Vorführen der Teilnehmer und der "Big-Brother-Charakter". Aber ganz besonders gestört hat mich das Konzept, nach dem überhaupt erst abgenommen wird. Denn ich hatte da immer ein bisschen Bauchweh, was den Langzeiterfolg betrifft.

In den Sendungen, die ich gesehen habe ging es zu 99% um Sport, über die Ernährung selbst wurde - zumindest dann, wenn ich das angeschaut habe - kaum berichtet. 
Ich glaube zu erinnern ich habe einmal eine Küche gesehen, und etwas Gemüse. 
An mehr erinnere ich zumindest nicht. Die Dauerfans mögen mich da gerne berichtigen... Aber ich glaube man ist auf der sicheren Seite wenn man behauptet: 
Im Vordergrund steht die Ernährung gegenüber dem sportlichen Teil nicht.

Das Sportprogramm selbst ist nun doch ziemlich straff. 
Da wird wirklich etwas abverlangt, und wenn es gar nicht mehr weiter geht und die Tränen gemeinsam mit dem Schweiss in die Augen schiessen, zack zack, gleich noch ein Stück weiter, aufgegeben wird nicht, auch schon mal bis zum Zusammenbruch. 
Gut, dass dann ein Arzt zur Stelle ist, alles andere wäre auch unverantwortlich.

Nun verfolge ich schon eine Weile die Überzeugung, dass Sport und Abnehmerfolge prinzipiell nichts miteinander zu tun haben. 

Ich werde dafür oft für verrückt erklärt, und manchmal auch recht harsch kritisiert. 

Zu oft wird als quasi vollautomatischer Reflex auf "dicker" das Wort "Bewegung" als legitime Gegenwaffe genannt. Genaugenommen lebt eine komplette eigenständige Fitness-Industrie davon: Geräteturnen und zum Schluss nen kühlen Eiweiss-Shake zur Kundenbindung.

Und ich bleibe dabei: Das ist Quatsch!

Ich mache das ja nicht seit gestern, und die internen Daten, die ich kenne, die Befragungen bei unseren Teilnehmern und deren Erfahrungsberichte zeigen mir, dass dieses Prinzip nicht stimmen kann.


Und siehe da. Ich sollte Recht behalten!

Das Hauptargument für Sport beim Abnehmen ist immer, man würde durch den Muskelaufbau einen höheren Grundumsatz erreichen. 
Grundumsatz, das ist das, was der Körper so durchschnittlich am Tag bei moderaten 28°C an Energie verbraucht, wenn man gar nichts tut. Und nüchtern ist.
Also anders gesagt: 
Das, was man in einem warmen Zimmer mit leerem Magen an Kalorien verbraucht, wenn man auf dem Sofa liegen bleibt, wenn alle Körperfunktionen sonst normal laufen.

Die Logik, die als Argument für den Sport hergenommen wird ist, dass man sagt:
Mehr Muskeln, mehr Grundumsatz, also Gas geben und Muskeln aufbauen.

Klingt schick, klingt einfach - und leider auch erst einmal einleuchtend.
Aber es ist eben leider - falsch!

Ein US-Forscherteam vom National Institute of Health hat 14 freiwillige der amerikanischen Staffeln jeweils am Ende der Staffel und dann 6 Jahre später nochmal auf Herz und Nieren getestet.

Das Resultat ist ernüchternd:
Hatten die Teilnehmer während der Staffel im Durchschnitt noch sagenhafte 58 kg abgenommen, kamen über den nachfolgenden Zeitraum von 6 Jahren wieder 41 kg dazu.

Ein klassisches Jojo.

Als besonders verheerend dabei sehe ich die Entwicklung des Körperfettanteils.
Hatten die Teilnehmer sich im Schnitt noch auf einen Wert von 28,1% Körperfett heruntergehungert, schoss dieser in den 6 Jahren wieder um 16,6% auf "satte" 44,7%(!) hoch.


Was ist da geschehen? Woran liegt das? 
Waren die Teilnehmer einfach wieder in schlechte Gewohnheiten zurückgefallen, nachdem die Kameras weg waren? Das ist ja oft das, was man dicken Menschen gerne vorwirft: Gierige Faulpelze, die sich nicht unter Kontrolle haben. Weniger Essen, mehr bewegen.


Die tatsächliche Erklärung kommt nun aber womöglich aus einer ziemlich unerwarteten Ecke des Supergewicht-Rings...:

Hatten die Teilnehmer zu Beginn vor der Staffel noch einen Grundumsatz von 2600 Kalorien, lag er am Ende der Staffel bei 1996 Kalorien, durchschnittlich.

Hier ist der erste Aufmerker:
Der Grundumsatz ist durch den intensiven Sport in Kombination mit der niederkalorischen Ernährung nicht gestiegen, sondern gesunken.

Noch viel interessanter jedoch ist, dass das gar kein kurzfristiger Effekt war, sondern der Grundumsatz auch nach 6 Jahren TROTZ der teilweise doch recht massiven Wiederzunahmen mit 1903 Kalorien sogar noch weiter abgesackt, anstatt angestiegen ist.


Übersetzt heisst das, dass die Abnahmebemühungen in der Langzeitwirkung nicht nur dafür gesorgt haben, dass sie nach 6 Jahren wieder nahezu am Ausgangspunkt angelangt waren - nein, das Dünnbleiben fällt ihnen jetzt auch noch zusätzlich entsprechend schwieriger. 

Denn im Schnitt lagen sie nach den 6 Jahren bei einem knapp 700(!) Kalorien niedrigeren Grundumsatz.

Mit anderen Worten: 


Der eigentlich versprochene Effekt, mehr zu verbrauchen und sich damit vielleicht auch einmal das eine oder andere mehr erlauben zu können hat sich ins Gegenteil verkehrt.


Statt sich mehr erlauben zu können, konnten sie sich weniger erlauben. 
Das langfristige Dünnbleiben wird durch diesen Weg also schon per Design erschwert.

Und noch etwas - sehr Elementares - kommt gemäss der Untersuchung erschwerend hinzu:

Aktive Stoffwechselhormone bleiben reduziert, die den Stoffwechsel eigentlich ankurbeln sollten und ein dauerhaft niedriger Leptinspiegel nimmt einem das Gefühl, satt zu sein.

Das heisst die Fettverbrennung bleibt dauerhaft auf niedrigem Level, während das Gehirn als Gegensignal andauernd das Gefühl bekommt, ständig am Verhungern zu sein.

Das ist kein Langzeits-Erfolgskonzept, das ist eher Langzeit-Qual-mit-Ansage.
Genau so, wie ich nun schon fast seit fast 4 Jahren warne...


Habe ich etwas gegen Sport?
Nein - gar nicht. Wer Spass daran hat, wem es beim Entstressen hilft, wer seinen Körper ein wenig definierter haben möchte, wenn man in den Bereich Normalgewicht gelangt... Bitte sehr, liebend gerne.

Aber ich habe etwas dagegen, dass jenen, die sich mit einer Abnahme wirklich einen grossen gesundheitlichen Gefallen tun auf den Holzweg geschickt werden, indem man ihnen suggeriert, es hätte etwas mit Bewegung, Kalorien und Grundumsatz zu tun.
Das haben unsere Daten nicht hergegeben, und das hat das Biggest-Loser-Experiment jetzt nun wirklich deutlich gemacht.


Was mich besonders daran ärgert ist, wie es diesen Menschen jetzt heute geht.
Ein einziges Wort ist das, was deren Leben heute zu prägen scheint, 
wenn man Interviews mit ihnen sieht oder liest. 

Und das ist: Scham.

Das nagende Gefühl, aus eigener Schuld versagt zu haben. 
Eine Chance, die man ihnen gab nicht genutzt zu haben. 

Dabei ist das im Ergebnis eben alles andere als eine Chance. 
Sondern Scheitern als Konzept.

Schämen sollten sich aber gar nicht die, die auf die Fachkompetenz der Anleitenden vertraut haben, sondern schämen sollten sich all jene, die die Daten kennen und aus wirtschaftlichem Interesse die Menschen noch immer auf den Holzweg zerren. 


Wider besseren Wissens.



Weiterführende Links:
Die Biggest-Loser-Studie (engl/Original)
Die gleiche Studie direkt als PDF zum Download

Der begleitende Presseartikel (engl) NewYork-Times



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