Donnerstag, 26. November 2015

Ich bin durch, lasst mich Arzt

KKritik
Ich bin durch, lasst mich Arzt...
äh... oder anders rum... irgendwie so halt...


Ein junger Mensch tut sich schwer mit so einem Studium. Erst mal muss er in der Schule schon begriffen haben, dass die Noten wichtig sind, was nicht jedem gelingt. Die Playstation und das Abhängen mit Freunden ist doch sehr viel verlockender als dröge Hausaufgaben und lernen.





Aber doch - die Noten haben gereicht, die Uni hat einen akzeptiert.
Das erste, was einen der Nachbar im Wohnheim fragt, ist ob Du auch am Abend auf die Studenten-Party kommen willst. Überhaupt ist das Studium für viele eine Zeit, an der sie gerne zurück denken, und wenn man jemand fragt, der eines hinter sich gebracht hat, dann sind seltsamerweise die wilden Partys das, was man am ehesten mit glitzernden Augen erinnert.

Nicht den Professor vorne, in den stickigen überfüllten Hörsälen.
Den, der sein Wissen oft vor einer beträchtlichen Zeit angesammelt hat, und dabei vergass, dass sich Wissenschaft weiterentwickelt. 


Und der eigentlich aussehen müsste wie ein Formel-1-Rennfahrer, wenn man ihn dazu verpflichten würde, für jeden "Berater"-Vertrag, den er innehat ein Logo auf den Prof-Kittel zu pinnen. Und der so vielen dieser Firmen verpflichtet ist in dem, was er vermittelt.
Und der Lehren eigentlich gar nicht gelernt hat und keine Ahnung hat, wie man Wissen so weitergibt, dass ihn die Leute auch verstehen.

Ja, man hätte heute die Möglichkeit, live nachzuschlagen, was der Fachbegriff bedeutet, von dem er gerade gesprochen hat. Aber niemand erkennt an, dass diese jungen Menschen vieles gar nicht wissen können, was man bei ihnen voraussetzt, und so ist ein Studium in vielen Bereichen ein überfordertes Scheine-Jagen.

Nicht diese Geldscheine - noch nicht - nein, die Scheine die einem den Nachweis ermöglichen, dass man anwesend war. 


Denn das ist erst einmal was zählt, bis die Klausuren kommen. 
Dort wird dann Wissen geprüft, allzu oft werden da Dinge abgefragt, die gar nicht dran waren, die man gefälligst selbst wissen sollte, denn es wird erwartet, dass man sich nebenher Dinge aneignet, von denen man erst nach der Klausur begriffen hat, dass es gerade dieses eine "Dings" war, das man gebraucht hätte.

Auch blöd: das Lernen hat man den jungen Menschen ebenso wenig beigebracht. 

Denn alles mögliche hat man ihnen in die Köpfe gestopft, sehr viel Unwichtiges, aber nicht, dass es Lerntypen gibt, die sich leichter tun, wenn sie visuell lernen und manche eher durch hören. 
Und niemand treibt ihnen das auswendig lernen aus - das zwar gute Noten bringt, aber in seiner extremen Halbwertszeit das Wissen 10 Minuten nach der Klausur auch schon wieder vergessen lässt - was den ganzen Aufwand für sich eigentlich unnötig macht.


Und dann geht es irgendwann mal in die Praxis. 

Der erste Blinddarm rollt keuchend vorbei, der erste Kopfverband blutet durch... 
Da wird dann auf einmal eine 16-Stunden-Schicht verlangt, und der junge Mensch steckt drin in diesem Rad aus Geld erzeugen, Betten belegen und all dieser Krankheit, dem Schmerz, dem Tod, der Trauer und den Schuldgefühlen, wenn man mal wieder alles versucht hat...

Man erlegt ihnen die Aufgaben auf, die kein anderer tun will, so ist das nun mal in unserer Gesellschaft, wenn jemand neu ist, und sie finden sich wieder in einem stetigen Spiel aus Intrigen, Machtkämpfen und der stetigen Mahnung, dass ein Krankenhaus wirtschaftlich zu führen sei.


Irgendwann dann - sehr viel später - ist es einmal so weit. 

Nach einem kurzen Abstecher in eine Gemeinschaftspraxis, in der man eher verheizt und ausgenutzt wird, als dass man dazu lernen würde, kommt dann die erste eigene Praxis.

Und man wird zum Spielball von sehr vielen unterschiedlichen Kräften. 


Denn eigentlich hat man ja Medizin gelernt, aber die Bürokratie erstickt einen fast, die Leasing-Raten für die Maschinen, die man viel zu teuer eingekauft hat, drücken aufs Budget und all dieser Vertragskram und die Versicherungen...

Ab einer oder zwei Vorzimmer-Damen muss man auch noch Fachmann in Personalführung und Arbeitsrecht sein.

Von dem ganzen Steuerkram, den man nebenbei auch noch zu beachten hat, und von dem 99% der Bevölkerung sowieso nicht mehr verstehen, wie das alles eigentlich korrekt abzulaufen hat. 

Nebenbei bemerkt: die 1% Steuerberater und - fachangestellten auch schon lange nicht mehr, wie mir ein Mann dieses Fachs neulich freimütig gestanden hat, als er auf die Ordner-Wand hinter sich gezeigt hat und meinte, das seien die Änderungen der Steuergesetze des letzten Jahres. Aber nur ein Teil, ein anderer davon sei noch im Nebenraum. 
Aber ich schweife ab...


Zwischen all den Terminen muss man noch klug unterscheiden, wer denn nun privat und gesetzlich im Wartezimmer sitzt, denn die privaten bringen für die gleiche Zeit mehr ein, und sie helfen definitiv, dass das neue Praxis-Schiff überhaupt noch einigermassen durch die Wellen gleitet, ohne dass der zuständige Bankberater unten den Stöpsel zieht. 

Und ausserdem muss man noch daran denken, welches Medikament noch von der Kasse bezahlt wird, und welches man aus der eigenen Tasche zu zahlen hat, weil das Quartalsbudget aufgebraucht ist.


Und dann hat man ständig noch den Unternehmensberater im Ohr, dem man neulich auf dem Schoss sass.
Der hat einem noch erklärt, dass man das ganze sehr wirtschaftlich zu sehen habe und die Igel-Leistungen (das sind die, die der Patient aus der eigenen Tasche bezahlt) einen wesentlichen Teil seines Umsatzes ausmachen sollen, damit das Ganze auch lohnt. 

Und die Provision für die Nahrungsergänzungsmittel und vom Labor ebenso unverzichtbar seien.


Dazu kommen dann die Vollprofis, erfahrene Ärzte, die einem raten, man solle unbedingt professionellen Abstand zu den Patienten halten, das sei wichtig in der modernen Praxis von heute. Verwirrend für Dich, denn eigentlich wolltest Du doch zuhören, anders sein.


Aber eigentlich wollte man das überhaupt alles gar nicht so.
Der Idealismus von früher wollte einen doch Menschen helfen lassen...
Schnell den Gedanken vergessen, denn man hat ja keine Zeit. 


Es sitzen noch ein Keuchhusten und eine Gürtelrose im Wartezimmer, während einem die Privatpatientin, die vor einem sitzt erklärt, wie sie gerne behandelt werden möchte, sie habe das im Internet gelesen.

Zwischen Keuchhusten und Gürtelrose ist da noch diese schick gekleidete Frau mit der Hornbrille, die sich zwischendrängelt und einem auf Hochglanz-Prospekten erklärt, wieso das neue Medikament jetzt doch so sehr viel besser und effizienter sei. 

Dass sie das nur sagt, weil das Patent des alten ausgelaufen ist und es deshalb das alte in sehr viel günstigeren Alternativen gäbe, weiss man nicht, ist aber so. Und dass das neue noch überhaupt nicht hinreichend getestet ist, und man über ein paar der Nebenwirkungen nur intern beunruhigt ist, das verschweigt sie auch. 

Denn sie will ja Geschäft machen. 


Sie lässt ein paar Gratisproben da, tätschelt Deine Hand und holt eine zweite Broschüre raus, in der steht, dass man ab einer gewissen Anzahl an Rezepten die Möglichkeit hätte, auf Mallorca an einer Fortbildung teilzunehmen, die zwar nur anderthalb Tage dauere (und das Essen sei hervorragend). Aber wenn man schon mal da sei, dann können man auf Kosten der Pharmaphirma noch den Rest der Woche verweilen. Hin- und Rückflug sei sowieso inklusive. Wenn die Zahlen stimmen, versteht sich.

Eigentlich hat man gar kein gutes Gefühl, wenn man die neue Mikropille verschreibt, denn man hat doch schon das eine oder andere gehört und gelesen, von 15-jährigen, die an einer Trombose verstarben.

Aber die Aussicht, in einer Woche auf Mallorca endlich einmal diesem ganzen Dauerstress zu entfliehen ist halt schon verlockend, und Miss Hornbrille hat ja versichert, dass das neue Produkt sicher sei. Und besser. Und das Essen dort hervorragend sei.


Eigentlich wäre jetzt die Gürtelrose dran, aber die neue Software - die bemerkenswert teuer war und einem die Arbeit abnehmen sollte (aber viel mehr erzeugt) - streikt nach dem letzten Update.

Die Eingabemaske will nicht so wie sie soll und die eine der beiden Arzthelferin knallt die Tür, weil sie sich mal wieder mit der anderen zerstritten hat, weil das junge Ding nicht tut, wie sie es will.



Als Du am Ende Deines langen Tages dann ins Bett fällst, und Dein Partner auch noch beleidigt - weil vernachlässigt - den Rücken kehrt, überlegst Du noch kurz:
"Wofür das alles, dieses Hamsterrad?!", aber bevor Du diesen Gedanken zu Ende führst wirds dunkel im Hirn - vor Erschöpfung.


In Deinem Traum reitet die Hornbrille auf einer Mikropille am Strand von Mallorca, die beiden Helferinnen vertragen sich wieder und die Gürtelrose geht von selbst weg. 

Und irgendwas... irgendwas tief in Dir drinnen sagt, dass das nicht ist, was Du eigentlich wolltest. Wofür Du studiert und 16-Stunden-Schichten geschoben hast. 

Und gerade, als Du die Hände in die Hüften stellst und tief Luft holen willst um zu brüllen "Genug mit der Scheisse!", da klingelt im Traum Dein Telefon.
Es ist Dein Bankmann, der "die Situation besprechen will".


Und dann wachst Du auf, denn es war Gott sei Dank nicht der Bankberater, sondern der Wecker, als freundlicher Hinweis auf den Start eines weiteren dieser Wahnsinnstage - in diesem Hamsterrad.



Ja, ich verstehe Deine Situation. Und ich mache Euch kaum Vorwürfe. 

Trotzdem werde ich nicht müde werden darauf hinzuweisen, dass dieses System krank ist. 

Dass es dringend einen Arzt bräuchte. Und zwar einen der Sorte, die Du eigentlich mal werden wolltest. Als Du noch helfen wolltest. Und Idealismus hattest.


Einen, der sich ehrlich sein - noch leisten konnte.




Bis später.


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